Ein Erfahrungsbericht meiner Schwester Jutta Frank
Kennt ihr das Gefühl, wenn man plötzlich Angst vor seiner eigenen Courage bekommt? Genau so habe ich mich gefühlt, als wir am 2. Juni 2023 im Auto saßen und uns auf den Weg nach Füssen machten. Oh man, was hatte ich mir nur dabei gedacht diesmal aktiv bei Bike4benefit mitzuwirken und mit dem Rad über die Alpen zu wollen?! Ich hatte mich zwar so gut vorbereitet, wie es meine Zeit zuließ, aber ich hatte nie das Gefühl, dass es ausreichte. Aber gut, jetzt waren wir auf dem Weg, jetzt wollte und musste ich mich irgendwie der Herausforderung stellen.
Wir verbrachten eigentlich einen relaxten Nachmittag in Füssen, sind durch die Fußgängerzone geschlendert, aber meine Anspannung wurde immer größer. Nach einer einigermaßen ruhigen Nacht und einem ausgiebigen Frühstück packten wir unsere Rucksäcke und machten uns fertig. Die nächste Herausforderung für mich – als Frau fünf Tage mit nur 6,5kg Gepäck im Rucksack unterwegs zu sein. Aber gut, meine zwei erfahrenen Begleiter – mein Bruder Axel und mein Mann Sven – hatten mich beraten, was in so einen Rucksack reingehörte und ich hatte zuhause bei allen Trainingsfahrten Gewichte dabei, um mich an das Gefühl auf dem Rücken zu gewöhnen.
Unsere Tour startete also in Füssen und wir fuhren gemächlich los Richtung Fernpass. Ich war begeistert von der Landschaft und strampelte fleißig hinter den Männern her, mittlerweile hatte sich meine Aufregung auch etwas gelegt. Natürlich konnte ich nie das Tempo der Beiden mitfahren aber sie nutzten die vielen Pausen, in denen sie geduldig auf mich warteten, um tolle Bilder zu machen. So verging die erste Etappe, ich war total angetan von der Landschaft und ich kann mich eigentlich nur noch daran erinnern, dass ich ganz am Ende ziemlich geflucht habe, als es zur ersten Unterkunft nach Imsterberg die letzten Kilometer nochmal ordentlich bergauf ging. Aber nach einer Dusche und einem üppigen Abendessen waren die Strapazen der ersten Etappe recht schnell vergessen, ich war so happy – über 80km und 1.300hm – so viel hatte ich zuhause noch nie geschafft!!!
So meisterte ich auch die zweite Etappe – natürlich mit schweren Beinen und schmerzenden Schultern – von Imsterberg nach Nauders. An diesem Tag habe ich viele Emotionen durchlebt, mich großen Ängsten stellen müssen, mein Rad geschoben, sogar getragen, habe geschimpft, auch mal geweint, mich an der sagenhaften Landschaft und den freundlichen Kühen – über deren Weide wir schieben mussten – erfreut und am Ende wieder geflucht über den finalen Anstieg nach Nauders. Aber letztlich saß ich erneut stolz wie Bolle beim Abendessen, denn ich hatte auch diese Etappe geschafft.
Die dritte Etappe sollte eigentlich landschaftlich die schönste werden, doch das Wetter ließ es nicht zu. Wir wollten von Nauders vorbei am Reschensee in Richtung Naturns, also durchs Vinschgau. Die Sicht war bescheiden und es regnete den ganzen Tag, so beschlossen wir nach ca. 25km, bei denen wir immerhin alte Panzersperren sahen und am Reschensee entlangfuhren, auf einen Shuttle bzw. den Zug umzusteigen, da uns die Zeit davonlief und landeten so in Meran. Die Stimmung war an diesem Abend nicht ganz so besonders, denn irgendwie waren wir alle enttäuscht. Aber auch das gehörte wohl zu einer Alpenüberquerung.
Die vierte Etappe führte uns – mittlerweile wieder bei strahlendem Sonnenschein – vorbei an endlos vielen Apfel-Plantagen entlang der Etsch Richtung Kaltern. Mensch, war der Cappuccino am Kalterer See lecker vor dieser Wahnsinns Kulisse! Die Etappe war zwar flach aber mit ziemlich viel Gegenwind, was mich unheimlich viel Kraft kostete, und meine Schultern und der Nacken taten mir mittlerweile echt weh von meinem Rucksack. Wir übernachteten am Ende des Tages in der wohl schönsten Unterkunft der Reise, in St. Michael. Die Zimmer erwiesen sich zwar erst auf den zweiten Blick als richtige Schmuckstücke und auch die Pizzeria gegenüber – neben einem LKW-Parkplatz – ließ zuerst nicht vermuten, was uns dort für ein superschönes Ambiente und leckeres Essen erwartete.
In die fünfte und Schluss Etappe bin ich wieder mit einer riesigen Aufregung gestartet. Heute sollte ich mein Ziel – die „Villa Franca“ in Torbole – erreichen und unsere Kinder und meine Schwägerin Nina würden uns dort erwarten. Mensch, was freute ich mich! Vielen Dank, liebe Nina, dass du mit den Kindern extra an den Gardasee gereist bist, um uns dort in Empfang zu nehmen. Das Wissen, dass ihr uns dort erwarten würdet, hat mich immer wieder angespornt und nicht aufgeben lassen.
Die Etappe selbst war wieder eher flach, sie führte uns kilometerweit an der Etsch entlang, mitunter an der Autobahn. Die Strecke kannte ich sonst ja nur aus der Sicht des Autos, wenn wir zum Lago unterwegs waren. Mich begeisterte die Landschaft und mit jedem zurückgelegten Kilometer wurde die Vorfreude größer aber auch ein wenig Wehmut war dabei, dass die Tour sich nun dem Ende näherte.
Monatelang habe ich mich darauf vorbereitet, gefreut und auch gefürchtet. Zwischen Alltag, Familie und Arbeit genügend Zeit zu finden, um zu trainieren war nicht immer leicht für mich. Ständig fuhr mein schlechtes Gewissen mit, evtl. die Kinder zu sehr zu vernachlässigen. Doch die beiden waren total entspannt und so sind wir alle an diesem Erlebnis gewachsen. Ich muss gestehen, es blieb mir während der Überquerung nicht viel Zeit, um mir Gedanken darüber zu machen. Ich wusste durch Anrufe und Nachrichten, es läuft zuhause alles und so konnte ich mich ganz auf mich konzentrieren. Das habe ich natürlich den vielen lieben Menschen zu verdanken, die Sven und mir geholfen haben, unser Vorhaben umzusetzen. Diese Menschen haben dazu beigetragen, dass zuhause alles seinen geregelten Gang lief – auch ohne uns. Ich kann euch gar nicht genug dafür danken!
Mittlerweile erreichten wir den Ort Nago, an dem man das erste Mal auf den Gardasee hinuntersehen kann. Wow, war das ein eindrucksvoller Moment, da habe ich echt ein paar Tränchen verdrückt. Die letzten Bilder wurden gemacht und wir rollten schließlich hinunter nach Torbole. Und so erreichten Axel, Sven und ich nach fünf Etappen – ca. 350km und rund 4.000hm gesund und munter unser Ziel. Was in diesem Moment in mir vorging, als ich unsere Kinder in die Arme schließen konnte, kann ich euch gar nicht beschreiben. Ich war so unendlich froh, es geschafft zu haben. Ich bin stolz, mich dieser Herausforderung gestellt zu haben und trage nun Bilder, Erlebnisse und Erinnerungen in mir, die ich nie mehr vergessen werde. Ich möchte allen danken, die mir dieses unbeschreibliche Erlebnis ermöglicht haben!
Sven, du hast es in der Woche nicht immer leicht gehabt mit mir, hast aber an mich geglaubt, alle meine Launen ertragen und mich immer weiter angetrieben. Ich danke dir dafür! Auch die ganzen Monate der Vorbereitung warst du an meiner Seite und hast mich angespornt und bist mit mir gefahren, das war nicht selbstverständlich.
Axel, du hast diesen Alpencross so geplant, dass er für mich machbar war. Du hast dir die Zeit genommen, mit uns diese Tour zu fahren, obwohl du mitten in den Vorbereitungen für dein BikeTransalp – Rennen steckst. Du hast mich angetrieben, an meine Grenzen zu gehen und mich Ängsten zu stellen, mit denen ich so nie gerechnet hätte. Du hast mir aber auch gezeigt, wie stolz man sein kann, etwas zu schaffen, was man vorher nicht unbedingt für möglich gehalten hätte. Dafür danke ich dir von Herzen!
Du bist unermüdlich darin, Jahr für Jahr Spenden zu sammeln, um meist Kinder zu unterstützen, mit denen es das Schicksal nicht so gut gemeint hat. Ich bin stolz, dass ich dieses Jahr aktiv ein Teil von Bike4benefit sein durfte und hoffentlich helfen konnte, noch mehr Menschen zu erreichen, sich für die gute Sache einzusetzen. Ein ganz großes Dankeschön geht daher auch an meine Arbeitskollegen bei Merck, die sich sehr großzügig an den Spenden beteiligt haben.
Ich danke allen, die mich während der Tour auf den unterschiedlichsten Kanälen angefeuert haben, mir die Daumen gedrückt und an mich geglaubt haben! Ohne euch alle, hätte ich das nicht geschafft!
Eure stolze Neu-Alpencrosserin Jutta 😉